Pet Peeve – nie war Ärgern schöner [Kolumne]

Von Susanne Gerdom

„Pet Peeve“ ist einer dieser treffenden englischen Ausdrücke, die sich nur unzulänglich ins Deutsche übertragen lassen. „Lieblingsärgernis“ käme dem nahe, wobei das zärtliche „Pet“ leider auf der Strecke bleiben muss.

Was also ist so ein Pet Peeve? Das sind all diese kleinen Alltagsärger, die den einen Menschen zur Weißglut treiben, während sie den anderen vollkommen kalt lassen. Die nicht zugeschraubte Zahnpastatube. Die Socken, die auf dem Boden liegen, statt in die Wäsche zu wandern. Das Buch, das aufgeschlagen auf dem Gesicht liegt. Der Deppen-Apostroph auf Reklameschildern: „Marion’s Haarlädchen“.

Kennt jeder, und jeder hat sein Lieblingsärgertierchen, das jedes Mal unweigerlich kratzt und beißt, wenn es einem über den Weg läuft.

1395294_robot_dogDieses Tierchen beißt gerne auch eine Autorin, die nebenbei andere Autoren coacht. Ja, da ist es wieder! Autor, das Wort, das jeder Autor eigentlich beherrschen sollte, und zwar im Schlaf. Der Autor. Des … Autoren? Dem … äh … Autoren? Den Autor(murmel)en?

Es ist erstaunlich, wie viele meiner Kollegen die Deklination ihrer Berufsbezeichnung unfehlbar und unweigerlich in den Sand setzen. Ihnen allen ins Poesiealbum geschrieben, und bitte jeden Morgen beim Zähneputzen zu rezitieren:

Der Autor. Des Autors. Dem Autor. Den Autor.

Alles, was „Autoren“ genannt wird, bezeichnet die Mehrzahl. Immer. Ohne Ausnahme.

Stirn abwischen, Mund abputzen, weiter im Text. Ja, da ist es schon: Pet Peeve Nummer zwei.

„Scheinbar hatte er vergessen, sich die Haare zu kämmen.“

Das Tierchen beißt und kratzt sich quer durch Romane, Zeitschriftenartikel, TV-Nachrichten, Leitartikel.

Die Scheinbar/Anscheinend-Krankheit grassiert wie eine mittelalterliche Seuche. Pocken und Schweinepest in einem.

Kolleginnen, Kollegen: Es ist doch ganz einfach: „Scheinbar“ ist etwas, was nur den Anschein vermittelt, so zu sein. In Wirklichkeit ist es aber ganz anders und das vermutet man auch. Scheinbar ist der Mond nur so groß wie ein Fünfcentstück und er ist scheinbar aus Käse.

„Anscheinend“ ist der Anschein selbst. Es sieht so aus. Man kann sich nicht sicher sein, aber wahrscheinlich ist es so. Man vermutet, dass es stimmt. Anscheinend kapiert diesen Unterschied heute niemand mehr, obwohl er doch so offensichtlich ist.

So schwer? Ja, anscheinend. Leider eben nicht nur scheinbar.

Noch einen für den Heimweg?

1395167_cat_robotMein allerliebstes, allgemein anscheinend (s.o.) für unregelmäßig gehaltenes Verb. Winken.

Muss ich mehr dazu sagen? Ihr wisst, wie das mit solchen Verben funktioniert, oder? Sinken, sank, gesunken. Stinken, stank, gestunken. Trinken, trank, getrunken.

Winken …

Exakt. Niemand käme auf die Idee „ich wank ihm zum Abschied“ zu sagen. Aber dennoch hält sich unausrottbar die Meinung, dass man „gewunken“ haben kann. Sogar aus Verlagslektoraten dringt diese seltsame Verbform eines harmlosen, regelmäßigen Verbes auf die Seiten der Bücher. Mein Lieblingsmerksatz dazu: „Er kam um die Ecke gehunken und hat mir fröhlich zugewunken.“

Winken. Winkte. Gewinkt. Danke!

Das sind nicht die einzigen sprachlichen Pet Peeves, die mich in die Tischkante beißen lassen. Ich decke den Mantel der Barmherzigkeit jetzt über das unsägliche und mittlerweile dudenkonforme „aus aller Herren Länder“, dem auf so merkwürdige Weise das korrekt deklinierte „n“ am Schluss abhanden gekommen ist … ich rege mich auch nicht darüber auf, dass die Kopplung flächendeckend zu verschwinden droht, dicht gefolgt von der Konstruktion zusammengesetzter Substantive. Obwohl. Doch, darüber REGE ich mich auf. Wut Anfall. Zornes Röte. Hitze Wallung.

Was sind eure sprachlichen Lieblingsärgernisse? Bei welchen Formulierungsunfällen geht euch der Hut hoch? Erzählt sie mir. Heult euch bei mir aus. Ich habe ein offenes Ohr und ein großes Herz für Sprachsündengeschädigte. Kommt und ladet euren Kummer bei mir ab.

Eure Kummerkasten-Tante

 

24 Replies to “Pet Peeve – nie war Ärgern schöner [Kolumne]”

  1. Wolfgang Schwerdt

    im Moment kann ich der sprachlichen Kleintierzucht nur eines hinzufügen: Schon mal aufgefallen, dass sich Ritter seit einigen Jahren mit fröhlich bunten Verkehrs- und Hinweisschildern schützen. Möglicherweise vereinfacht das ja die ganze Angelegenheit nach dem Motto: „Hier Zuschlagen“, „hier besser Stechen“, „innerhalb der Schranken 30 km“.
    Als der Schild der Ritter Schutz und Wappen war, ging so manches Tournier noch tödlich aus. Klar im Sinne der EU-Sicherheitsnormen liegt es eigentlich auf der Hand, dass heute das Schild größere Unfälle vermeiden hilft, wenn die Ritter mit ihren Lanzen aufeinanderprallen (selbstverständlich nicht schneller als 30 km/h, wie die Schilder der Kontrahenten signalisieren)

    Ansonsten ist es immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes aufregend, sich die sprachlichen Gremlins der Nachrichtensprecher, Moderatoren und Reporter anzuhören. Das Studium der Medienwissenschaften macht eben noch keinen Journalisten und vermittelt offensichtlich auch nicht zwingend sprachliche Kompetenz.

    1. Susanne

      Und ich danke für ein weiteres Blog in meiner Leseliste! Und dass ich fürder nie mehr das Wort „beinhalten“ werde lesen können, ohne dabei Obelix vor Augen zu haben …

        1. Susanne

          Lieber Johannes, das musst du wirklich. Ich kann mir vorstellen, dass du etliche Stammleser hast, die sich das ungern entgehen lassen …

    2. Wolfgang Schwerdt

      Hallo Johannes,
      ich habe mich gelegentlich auch über diese beiden Wörter (aus den gleichen Gründen wie Du) geärgert, ganz besonders dann, wenn ich sie gelegentlich in meinen eigenen Texten gefunden habe. Insofern: recht hast Du mit Deiner Beschimpfung, ich hülle mich in Sack und Asche etc . . . 😉

      Dafür gebe ich noch einen Mehrwert zum besten. Der Mehrwert. So mancher Artikel enthält (!!) nach Aussage des Autors (!!) einen Mehrwert. Der wird auch von den Managern der Publikationsplattformen gefordert und den Lesern versprochen. Und genau das erstaunt mich immer wieder, denn viele der mehrwerthaltigen Artikel oder gar Bücher enthalten nicht einmal einen Nutzwert, sind kaum von literarischem Wert oder es gar wert, gelesen zu werden. Ich frage mich, von welchem dieser meist nicht vorhandenen Werte gibt es denn noch mehr? Ich liebe Texte von Wert, der Mehrwert kann mir gestohlen bleiben.

      1. johannes flörsch

        Einverstanden!

        Das mit dem Mehrwert ist noch gar nicht bis in mein Bewusstsein gedrungen. Ich weiß aber, woran das liegt: Weil es so verführerisch klar klingt – man glaubt zu wissen, dass es etwas Richtiges ausdrückt.

        Dass sich dahinter nur der Drang inkontinenter Sprech- und Sprachbläher verbirgt, die sich nicht mit einem „wertvoll“ begnügen können, sondern ein „mehrwertvoll“ herauströpfeln müssen, zeigt nur eines: Sie wissen zwar nicht, was sie tun, aber sie tun’s mit Hingabe.

        1. Susanne

          Der „Mehrwert“ fällt für mich in die Kategorie „Unkosten“ und „Epizentrum“. Die Vorsilbe bläht das Wort so schön auf und macht es wichtig. (Dass dabei unter Umständen sogar Unsinn herauskommt, wie bei „Unkosten“ und „Epizentrum“ und dem generell falsch verwendeten „Untiefe“, bemerkt ja eh niemand von diesen Sprachallergikern …)

  2. Diandra

    Ooooh, da gibt es einige. Verschwurbelt gedichtete Arztberichte, schlecht umgesetzte Anglizismen („macht Sinn“), Denglisch, „schlimmer wie“ (oder im Englischen „How I look like“), Deppenapostroph, schlechte Übersetzungen, „der einzigste“, …

    – eigentlich kaum zu glauben, dass ich noch nicht wie Rumpelstilzchen entzweigegangen bin. ^^

    Ich würde den „pet peeve“ übrigens wahrscheinlich am ehesten mit „Steckenpferd“ übersetzen, weil man darauf ja auch andauernd rumreitet…

  3. Diandra

    Gerade mit den Kolleginnen diskutiert. Eine schlägt für „pet peeve“ „Reizthema“ vor, die andere „wunder Punkt“. Aber so richtig dicht dran sind die alle noch nicht.

    Uuuund noch ein „pet peeve“ von mir: Automatisierte Übersetzungen. Gnah!

  4. Nicole Schröter

    Abgesehen von den Klassikern „wie/ als“ und „dem/ den“, kann ich die „obwohl/ trotzdem“ -Fehler nicht ausstehen. Beispiel: Trotzdem ich müde war, ging ich nicht schlafen. Gruselig! 🙁

  5. Manuel

    #1 CHARAKTER (anstatt „Figur“) – akuter Tischkantenbeißimpuls!
    #2 MUND-ZU-MUND-PROPAGANDA – uuurks! Dann doch lieber Amazon!
    #3 REZESSION (anstatt „Rezension“) – klar, es heißt ja auch BÖRSENBLATT!

    1. Susanne

      Manuel, wie schön, dich mal wieder zu lesen 🙂

      Ja. LOL. Ich verstehe #1 noch, wenn man das mal eben im Chat als „Char“ abkürzt. (Fig sieht irgendwie blöd aus und keiner kapiert’s. Aber ansonsten … jaul. #2 … hab nie drauf geachtet, aber jetzt wird’s mir natürlich ständig auffallen. Danke. ^^
      #3 Dazu gibt es ellenlange gemeine Bemerkungen in Foren wie Lesen.net. Über all die Koniferen, die ihre Rezessionen in die Welt posaunen. *g*

  6. Hermann Markau

    Wenn die kleine Konjunktion „weil“ – üblicherweise einen kausalen Nebensatz einleitend – einen Hauptsatz eröffnet („Obama ist nicht der, der er mal war, weil er hat Guantanamo noch nicht geschlossen), rollen sich mir die regelmäßig Fußnägel auf. Dann hilft mir auch nicht der Hinweis auf die anglikanische Verantwortlichkeit (…because he didn´t close Guantanamo). Dabei haben wir in der deutschen Sprache doch mit dem Wörtchen „denn“ eine so schöne, grammatisch korrekte Lösung.
    Übel wird mir auch regelmäßig – jedenfalls im übertragenen Sinne – wenn Sätze mit „insofern“ bzw. „von daher“ gebildet werden, obwohl eigentlich viel passender und schöner „deshalb“ gesagt werden könnte.(Obama hat Guantanamo nicht geschlossen. Insofern ist er kein guter Präsident.)
    Und „insofern – weil“, insofern – dass“ oder ähnlich himmelschreiende Wendungen kommen oft als Krönung dahergeschlendert.

    1. Susanne

      Ja, da gruselt es mich auch. Aber die lieben Anglizismen sind ja ein Dauerthema. Von Journalisten gerne verwendet: „In 2012 …“ Aua. Pet Peeve. *g*

      Oh, und ich gehöre auch noch zu den altmodischen Menschen, die „nichtsdestotrotz“ unsagbar gruselig finden. Es ist ein Kofferwort, eine Verballhornung – und wahrscheinlich längst dudenkonform. Ich hab mich noch nicht getraut, nachzuschlagen. 😉

      (Edit: Schnellvertipper „destotrotz“ korrigiert …)

      1. Wolfgang Schwerdt

        Destotrotz kenne ich nicht, sondern nur nichtsdestotrotz.

        Es war etwa vor gefühlten 100, in Wirklichkeit rund 45 Jahren, da stieß ich irgendwie auf das „nichtsdestotrotz“. Ich fand das damals interessant und benutzte es in einer Deutsch-Hausarbeit. Der Lehrer war entsetzt, strich das Wort durch und schrieb mit roter Tinte, die vermutlich direkt mit der Farbe seiner Wangen korrespondierte, an den Rand des Aufsatzes: „Das Wort gibt es nicht“ und verpasste mir eine ungerechtfertigt schlechte Note.

        Der geneigte Leser dieser Zeilen wird sich kaum vorstellen können, welche Überwindung es mich damals kostete, der Respektsperson vor der ganzen Klasse zu widersprechen und eine bessere Note für meinen eigentlich gelungenen Aufsatz einzufordern. Aber ich hatte mich vorher schlau gemacht: Nichtsdestotrotz stand als ganz offizielles Wort bereits zu jener Zeit im Duden. Ein grauenhaftes Wort. Aber wegen meines Lehrers habe ich es seitdem viele Jahre lang gerne und viel verwendet – bis ich endlich aus dem literarischen Flegelalter raus war 😉 .
        Und auch wenn viele meiner Leser – besonders die meiner Satire – meinen, so ganz hätte ich diese antiautoritäre Emanzipationsphase noch nicht überwunden, das antiquiert-revolutionäre Wort „nichtsdestotrotz“ gehört schon lange nicht mehr zu meinem aktiven Wortschatz 🙂

        1. johannes flörsch

          Schulanekdoten, lieber Wolfgang, gehören immer noch zu den schönsten Geschichten. Nur wüsste man gerne, wie dein Protest ausgegangen ist: Hat er sich korrigiert, dein Lehrer?

          1. Wolfgang Schwerdt

            Nein, er hat sich nicht korrigiert. Das Beharren auf falschen Positionen, die selbst für Schüler überprüfbar waren, gehörte zu den Gründen, weshalb er sich in der Schülerschaft keinen Respekt verschaffen konnte und bald wegen psychischer Belastung (Schülermobbing)aus dem Schuldienst ausschied.

          2. johannes flörsch

            Stimmt! Mobbing, das gab’s auch damals schon (ich = Abi 75) – allerdings meist von oben nach unten. Aber natürlich hatten auch wir unsere Zielscheiben unter den Halbgöttern am Katheder. Ein schönes Wochenende!

  7. Sandra

    Bei „Pet Peeve“ fällt mir gerade spontan „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ ein. Eigentlich meint es ja „Jedem das, was ihm gefällt“, aber warum nicht auch „Jedem das, was ihm MISSfällt“?