Kolumne: Hereinspaziert!

Kolumne Melanie MeierDas Streben nach Anerkennung

Willkommen in meinem Kopf!

Das ist es, was ich in dieser Kolumnen-Reihe mit dem Titel ›Hereinspaziert!‹ machen möchte: Ich möchte Sie in meinen Kopf hereinbitten, in diesen Gebäudekomplex, in dem viele Melanies herumlaufen. Manche von ihnen reden wild durcheinander, einige mit sich selbst, andere diskutieren hitzig, hin und wieder schlendert eine entspannte Melanie vorbei, irgendwo sitzt eine auf dem Boden und hört Musik, eine guckt sich TV-Dokumentationen an, eine andere einen Film oder eine Serie, irgendwo liest eine Melanie ein Buch oder mehrere, eine hat sich hoffnungslos verlaufen, eine weitere macht ein Nickerchen … Es geht auf jeden Fall bunt und laut zu.

Zuweilen formiert sich aus diesem Chaos etwas Zielgerichtetes, alle Melanies synchronisieren sich plötzlich, und dabei kommt etwas heraus, irgendetwas. Mit ein wenig Glück sind das präzise Gedanken, die ich dann schnell zu Papier bringen muss, damit die vielen Melanies in meinem Kopf mit dem Krawall weitermachen können.

Darum geht es in dieser Reihe. Ich bitte Sie nicht nur in meinen Kopf, ich lasse Sie teilhaben an meinen Überlegungen. Diese stehen in enger Verbindung zum Schreiben, denn ohne sie käme es zu keinem einzigen niedergeschriebenen Wort. Die Betonung liegt dabei auf ›Überlegungen‹! (Vielleicht verwerfe ich morgen all dies wieder, weil ich neue Erkenntnisse gesammelt habe.)

Beginnen will ich mit einem Thema, das die vielen, unterschiedlichen Melanies seit einer Weile beschäftigt: das Streben nach Anerkennung.

Zuerst will ich zwei Begriffe, die sich mir während meiner Recherchen eingeprägt haben, gegenüberstellen: Leidvermeidung und Lustgewinn. Beides kennt ein Künstler genauso gut wie ein Bürokaufmann oder ein Bauarbeiter oder ein Schüler. Während ich in meinem Schreib-Alltag den Lustgewinn vor allem während des Schreibens (während des Schöpfungsprozesses, den auch andere Berufe kennen) ganz stark empfinde, beginnt die Leidvermeidung dann, wenn der Roman in den Verkauf und damit an die Leser geht. Ich wappne mich innerlich gegen mögliche Kritik.

Nun hat jeder seine eigene Strategie der Leidvermeidung. Ich für meinen Teil verschanze mich hinter dem Lustgewinn während des Schreibens: Ich sage mir, ich mache es um der Sache willen, nicht um der Anerkennung willen. Ich schreibe, weil ich gern schreibe. Das ist gar kein so schlechter Trick, denn ich werde selbst dann nicht berührt, wenn Marcel Reich-Ranicki aufersteht (er ruhe in Frieden!) und meine Self-Publisher-Titel zerreißt (nicht nur seine Auferstehung ist sehr unwahrscheinlich, ich weiß).

Das ist meine Strategie. Sie – wie alle anderen Strategien auch – funktioniert so lange, so lange sie Theorie bleibt oder das auf mich zukommende Leid nicht eine bestimmte Grenze überschreitet. Würde mir Herr Reich-Ranicki tatsächlich Talentlosigkeit unterstellen, wäre diese Grenze – womöglich – überschritten und die Strategie hätte versagt.

Das ist bereits mehrmals geschehen. Jedem von uns. Vielleicht überdenken wir im Anschluss unsere Strategie, verfeinern sie, verwerfen sie und ersetzen sie durch eine neue, oder wir resignieren gar.

Voraussetzung für das Leid ist nun mal immer, dass man dem äußeren Umstand, der es auslöst, ausreichend Macht gibt. Würde ich Herrn Reich-Ranicki nicht schätzen, besäße er gegebenenfalls gar nicht die (von mir an ihn verliehene) Macht, mich emotional zu berühren.

An dieser Stelle möchte ich eine wissenschaftliche Studie zurate ziehen. Ich weiß nicht, wer sie durchgeführt hat und kenne die Ergebnisse im Einzelnen nicht, doch sie schien mir einleuchtend. (Geschildert hat sie der Philosoph Richard David Precht in einem seiner Vorträge bzw. in einem Interview.)

Es gab zwei Gruppen von Kindern. Zu Beginn der Studie wurde beiden Gruppen vorgespielt, einer älteren Dame fiele ein Gegenstand hinunter. Die Kinder beider Gruppen hoben diesen Gegenstand auf und reichten ihn der alten Dame. Im Anschluss wurden in der einen Gruppe nach vollbrachten Leistungen an die Kinder Belohnungen vergeben, in der anderen nicht. Am Ende vollzog man den Versuch mit der alten Dame noch ein paar Mal, diesmal bekamen beide Gruppen keine Belohnungen für ihre Hilfen. Und siehe da: Die Gruppe, die auf die Belohnung konditioniert worden war, unterließ es schließlich zu helfen, weil sie ja nichts mehr dafür bekam. Die andere Gruppe half natürlich weiterhin.

Mir ist völlig klar, dass ich zwei unterschiedliche Begriffe gleichsetze, nämlich Belohnung und Anerkennung, und dass es einmal um materielle Belohnung und einmal um eine Empfindung geht. (Kommentieren Sie diesen Beitrag und sagen Sie mir, ob Sie diesen Vergleich für zu inkohärent halten. Ich liebe neue Denkanstöße!)

Ich setze die Begriffe nur deshalb gleich, weil ich glaube, zwischen der materiellen Belohnung und der Empfindung besteht in diesem Kontext kein so großer Unterschied. Das Resultat deckt sich meines Erachtens, mündet in der Empfindung der Anerkennung für geleistete Taten. Vermutlich schütten beide Vorgänge im Gehirn sogar denselben oder einen ähnlichen Cocktail aus, doch das ist nur eine Vermutung.

Zurück zur Studie: Mal abgesehen davon, dass nun irgendwo dort draußen ein Rudel verzogener Kinder herumläuft, hielt ich das in Hinblick auf das Streben nach Anerkennung für äußerst interessant. (Ich habe keine Kinder, sonst hätte ich womöglich meine Erziehungsmethoden überdacht und nicht eine Verbindung zum Streben nach Anerkennung gezogen.)

Mir stellten sich zwei Fragen: Gibt es Schriftsteller, die den Lustgewinn nicht während des Schreibens, sondern danach in Form von Rezensionen, Kritiken, Verkaufszahlen etc. empfinden? Und ich fragte mich, ob ich demnach nicht noch vorsichtiger sein müsste, wenn es um Lob und Anerkennung geht.

Ich habe vor einer Weile für einen großen Online-Versandhändler gearbeitet. Regelmäßig (ich glaube, wöchentlich) gab es Feedback-Gespräche mit dem Teamlead. In diesen Gesprächen fiel nie ein böses respektive negatives Wort, selbst wenn die vergangene Woche noch so miserabel gelaufen ist. Im Gegenteil, der Lead fand immer irgendetwas Positives, das er hervorhob. Er sagte lediglich, jeder habe mal ein Down, er wisse um die Leistungsfähigkeit ja aus den anderen Wochen Bescheid und sei zuversichtlich, man knüpfe künftig wieder daran an. Kein offener Tadel, keine verbalen Prügel, ich ging aus diesen Gesprächen immer optimistisch heraus.

Damals war mir das nicht bewusst, doch dieser Online-Versandhändler handhabt es sehr geschickt, seine Mitarbeiter zu motivieren. Er spricht ausschließlich Lob aus (der Tadel liegt im Subtext verborgen, wenn man so will). Und dabei motiviert er nicht nur, er konditioniert. Was er mit reinem Tadel nicht schaffen würde, wohlgemerkt, jedenfalls käme dabei kein positiver Effekt (für ihn) heraus. (Was das für die Arbeitnehmer bedeutet, ist ein anderes Thema, aber es ist nicht ausschließlich positiv, wie ich aus Erfahrung weiß. Stichwort Burnout u. a.)

Jüngst las ich in einem Forum einen Beitrag von einer frustrierten Schriftstellerin, die sich über Kritiken beschwerte und bekannt gab, sie würde ihre Werke aus dem Verkauf zurückziehen und höre nun mit dem Schreiben auf. Sie habe genug. Daraufhin bekam sie Zuspruch von Kollegen und -innen, woraufhin sie ihre Entscheidung überdachte und doch weitermachte.

Sie sehen, worauf ich hinaus will.

Dieser Online-Versandhändler gewährleistet einen Lustgewinn nicht während der Arbeit, denn die Arbeit ist langweilig, stupide, bisweilen regelrecht nervenaufreibend. Damit ein Mensch ihr dennoch nachgeht und nicht nach zwei Wochen kündigt, damit er eine Strategie der Leidvermeidung überhaupt entwickeln kann, braucht er den Lustgewinn in irgendeiner Form. Den bekommt er in den Feedback-Gesprächen.

Damit ich allerdings nicht zu einem verzogenen Kind werde, das nicht mehr reagiert, sobald eine Omi von ihrem Rollator stürzt, muss ich mich selbst erziehen. Ich muss mir zwangsläufig einen Lustgewinn um der bloßen Sache willen erhalten. Darum komme ich nicht herum. Ansonsten geht es mir wie der genannten Schriftstellerin: Ich laufe Gefahr, alles an den Nagel zu hängen.

Ich will der Schriftstellerin nicht zu nahe treten. Die Hintergründe für ihren Post kenne ich nicht, zumal wir alle Zeiten haben, in denen wir am liebsten im Bett liegen bleiben würden, weil uns die Welt so düster entgegenblickt. Das sei uns auch vergönnt, wir sind nun einmal Menschen und keine fleischgewordenen Idealvorstellungen.

Zumal jeder einen gewissen Anteil Lustgewinn aus von außen kommendem Lob zieht (wer das Gegenteil behauptet, lügt; allein unsere schulische Laufbahn mit ihren Zensuren hat uns schon darauf konditioniert). Doch das betrachte ich als Stichwort: einen Anteil. Ich darf mich nicht abhängig davon machen, sonst stehe ich nicht mehr aus dem Bett auf.

Die günstigste Strategie der Leidvermeidung liegt für mich tatsächlich in der Ausgewogenheit. Ich muss mich selbst motivieren können, indem ich einen Großteil Lust aus dem bloßen Schaffensprozess gewinne (also während des Schreibens, oder wenn ich der Omi auf die Beine helfe), und den äußeren Einflüssen (Verkaufszahlen, positive Rezensionen, Feedback-Gespräche, Belohnungen) nur wenig Macht verleihe.

Um noch einmal Marcel Reich-Ranicki zu bemühen: Seine Kritik würde mich treffen, doch ich würde nicht aufhören zu schreiben.

Nun denn, ich wünsche Ihnen gelingende Leidvermeidung und ganz viel Lustgewinn! Und freue mich, wenn Sie mir ausschließlich positives Feedback für diesen Beitrag geben! 😉

Melanie Meier

5 Replies to “Kolumne: Hereinspaziert!”

  1. Divina

    Sehr schön. Weitermachen!

    Ich kann das Ganze nur bestätigen, denn ich ziehe meinen Lustgewinn auch überwiegend aus dem Schreiben. Wenn es dann auch noch andere Menschen toll finden, ist das für mich ein kleines Bonbon. Dieses Bonbon sorgt dann allerdings dafür, dass ich versuche, meine Bücher nicht nur zu schreiben, sondern auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu perfektionieren – und dabei hilft mir wiederum Kritik.

    1. Melanie Meier

      Danke für das Feedback, Divina! 🙂
      Die Sache mit der Kritik wäre fast einen eigenen Beitrag wert! Ich denke, du hast mich da auf eine Idee gebracht … Mal sehen! 😀

  2. Nike Mangold

    Tja, wenn der Onlineversandhändler es geschafft hätte, dass du die Arbeit um ihrer selbst willen und nicht für Geld gemacht hättest (denn von Feedback-Gesprächen wird man ja am Ende auch nicht satt), hätte er wohl schon die Weltherrschaft erlangt. Aber dann würdest du wahrscheinlich rund um die Uhr dort am Schreibtisch sitzen und nicht mehr schreiben und das wäre auch schade 😉

    Manche Berufsschriftsteller sehen ürigens sogar die Veröffentlichung als notwendiges Übel (habe ich bei Milena Moser neulich so gelesen).

    1. Melanie Meier

      Das stimmt, Nike. Das Geld (als Lustgewinn) habe ich absichtlich nicht erwähnt, das wäre ein Thema für sich; ich sehe im Geld an sich und im Geldausgeben keinen Lustgewinn bzw. kann beidem keine Lust abgewinnen, darum konnte ich das nicht reinen Gewissens in den Beitrag aufnehmen. (In der Geldauszahlung a priori könnte man einen Lustgewinn empfinden, quasi als Anerkennung für all die Leidvermeidung – aber wie gesagt, das ist ein Thema für sich! :D)

      Veröffentlichung als notwendiges Übel: Das kann ich nachvollziehen, wenn ich auch selber (nicht mehr) so empfinde. Danke für den Hinweis! Ist immer interessant zu wissen! 🙂 (Wie war das? –> Es gibt nichts, was es nicht gibt?!^^)

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