Hope for the broken-hearted

von René GrandjeanKolumne_allg_02

An manchen Tagen stelle ich mir mein Leben als Sitcom vor. Die unaufhörlich plappernde Stimme in meinem Kopf wird der Sprecher aus dem Off, der diese nachdenklich lustigen Dinge sagt. So wie Montagmorgen, auf meinem Weg zur Arbeit.

„Und so stehe ich hier, der Tag hat eben erst begonnen, klatschnass vom Regen, friere, niese, schlinge die Arme um mich, wie um mich selbst zu halten. Ein Königreich für meinen alten Schirm, den ich verzweifelte suchte, bis es Zeit zu gehen war, weil ich einen Zug erwischen will. Den Schirm schenkte mir einst ein pensionierter bulgarischer Gynäkologe, der mit seinem starken Akzent und den aus der Zeit gefallenen Anzügen wie ein Schlagersänger aus den Siebzigern rüberkam, auf einer Familienfeier. Eine Speiche des Schirms ist gebrochen, ich gehe nicht pfleglich mit meinem Zeug um. Die Plane hängt herab, was etwas schäbig wirkt, mir aber nichts ausmacht, denn ich nutze das als Sichtschutz. Den vermisse ich an diesem grauen Morgen, umgeben von Fremden an einer stark befahrenen Kreuzung, noch mehr als einen Schutz gegen den nicht enden wollenden Regen. Plötzlich glaube ich, sie zu sehen, dass sie wie aus dem Zwielicht geboren neben mir bei der ewig roten Ampel auftaucht, und ich erschrecke ganz furchtbar. Doch sie ist es nicht, es ist nur eine Fremde mit ähnlicher Statur und ebenso brünettem Haar. Ich atme auf, und es mag dem aus dem Schreck geborenen Adrenalinschub geschuldet sein, entsinne mich, wo mein Schirm ist. Er blieb auf ihrer Fensterbank zurück, als ich es vorzog zu gehen. Das war ein schwerer Schritt, weil ich gern geblieben wäre, vielleicht für immer, obwohl das ein wirklich großes Wort ist, mit dem man vorsichtig umgehen muss. Jetzt ist der Schirm für mich so unerreichbar, wie sie es wurde, als mit dem Erlöschen des warmen Lichts der Weihnachtsbäume die Kälte Einzug hielt und die Illusion von Nähe verpuffte. Es würde mir aufs Neue das Herz brechen, ginge ich zu ihr, ihn zu holen. Und was würde es nützen? So oder so stehe ich im Regen, frierend, nass, allein. In diesem Augenblick beschließe es, dass es Zeit ist, die Zelte in Castrop-Rauxel abzubrechen und woanders ein neues Leben zu beginnen.“

Standbild auf mein regennasses Gesicht, entschlossener Blick, verschmitztes Lächeln. Abspann. Was für ein Kitsch? Richtig.

Keine Sorge, geneigter Leser, die Szene ist bis auf den Schirm, den vermisse ich tatsächlich, lediglich ein Auszug aus meinem neuen Roman, an dem ich seit wenigen Tagen stricke. „How I Met My Cat“ lautet der Arbeitstitel und ich spiele mit dem Gedanken, ihn als Grundlage für eine Sitcom an den Höchstbietenden zu verkaufen.

Für „HIMMC“, wie wir Fans sagen, recherchiere ich zu einem mir völlig fremden Thema: gebrochenes Herz. Was für eine Hölle muss das sein? Ich selbst war noch nie unglücklich verliebt, ehrlich nicht. Stets wurden meine Gefühle von der Auserwählten erwidert, was daran liegen mag, dass ich an einem Pfingstsonntag im Mai geboren bin. Da scheint einem nonstop die Sonne aus allen möglichen Körperöffnungen und man kann sich tageweise kaum bewegen vor lauter Glück.

Aber wie der Zufall es will, leidet eine meiner engsten Freundinnen aktuell unter einem der härtesten Fälle von Liebeskummer, der mir je untergekommen ist. Aus Gründen der Diskretion, und weil ich finde, dass es ein wirklich schöner weiblicher Vorname wäre, nennen wir sie im weiteren Verlauf des Textes Libelle. Nach eigener Aussage hat Libelle im Laufe ihres Lebens in Liebesdingen nicht mehr oder weniger Scheiße gefressen als jeder andere (mit Ausnahme von mir). Nach einer chaotischen Single-Phase mit unglücklichen Affären und überraschenden One-Night-Stands (mir beides völlig fremd) wähnte sie sich am Ziel, als sie … Dick traf. Ich weiß nicht, woran Du jetzt denkst, aber Dick ist im englischsprachigen Raum ein allgemein akzeptierter männlicher Vorname, also empfehle ich, du checkst den Verlauf Deines Internet Browsers und tust Buße, wenn er Dich irritiert! Wie auch immer, bei der Romanze von Libelle und Dick hätte John Hughes Regie führen sollen: Junge trifft Mädchen, sie beschnuppern sich, sie mögen sich, sie kommen sich näher, sie kommen sich nah. Schmetterlinge im Bauch, Freundeskreise verschmelzen, man lernt die Familie kennen etc. Nach erfolgreichem Absolvieren des Pflichtprogramms wollte Libelle wissen, wo sie steht, war sie Dick doch längst verfallen und nicht imstande, die Situation länger undefiniert zu ertragen. Sie wollte ihm gehören, er sollte ihr gehören, ein nachvollziehbares Anliegen.

Ab da ging alles schief. Dick ließ durchblicken, dass er sich bezüglich seiner Gefühle nicht im Klaren sei. Libelle war vor den Kopf gestoßen. Zugegeben, völlig aus dem Nichts kam das nicht. Sie hatte es geahnt, seine Zweifel gespürt, aber tapfer und unverdrossen versucht, sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln aus dem Weg zu räumen, indem sie ihm ihr Herz öffnete, sich ihm auslieferte, sich ganz und gar in seine Hände begab. Dumme Libelle. Als Dick endlich gestand, dass ihm seine Ex noch im Kopf herumspukte, gab Libelle enttäuscht auf. Autsch! Es folgte ein wenig Hin und Her, dann war die Liebelei vorbei. Jetzt steht Libelle da mit langem Gesicht und gebrochenen Herzen und ihrem Bericht zufolge ist das schlimmer als Hunger, Heimweh oder Fußpilz.

Hier eine kurze Zusammenfassung ihres Martyriums: Das plötzliche Ausbleiben von Textnachrichten zum guten Morgen oder zur guten Nacht raubt ihr den Verstand. Alle Lieblingslieder sind mit schmerzhaften Erinnerungen kontaminiert. Plätze, an denen man gemeinsam eine gute Zeit verbrachte, sind tabu. Des Nachts schreckt sie aus dem Halbschlaf auf, weil sie denkt, ihn zu spüren, wie er sich zärtlich an sie heran löffelt. Die Erkenntnis, dass sie nicht mehr die besondere Person in seinem Leben ist, vielleicht nie war und Stand heute auch niemals sein wird. Die Unfähigkeit, diese Erkenntnis aus dem Kopf hinab ins Herz zu transportieren. Der Wunsch, ihn zu sehen, die Angst, ihn zu treffen, weil sie aus Watte ist, so verletzlich und schutzlos. Der Ärger über sich selbst, mit offenem Visier auf das Schlachtfeld der Liebe geritten zu sein. Die Zeichen nicht richtig gedeutet zu haben, Warnsignale, so groß wie Plakatwände, die am Wegesrand leuchten, blinken, blitzen, Hornsignale ausstoßen, die sagen „Hau ab so lange Du noch kannst!“ Wo ist er, was tut er mit wem – Fragen, die wie Hammerschläge in ihrem Schädel dröhnen. Das Wissen, das sie mit ihrem Schmerz allein bleibt, weil Dick schon längst weitergezogen ist. Sie isst nicht, sie schläft nicht, sie bewegt sich kaum, sie ist unfähig zu kommunizieren. Sie befürchtet, sagt sie mir, dass sie sich zur Idiotin gemacht hat.

Ich versichere ihr, dass Liebe der einzig vertretbare Grund ist, sich zur Idiotin, sogar zur Vollidiotin zu machen, aber das sage ich nur, um sie zu trösten. In Wahrheit habe ich mich schon vor geraumer Zeit gegen die Liebe entschieden. Für immer! Klar, ich liebe meine Familie, meine Freunde, meine Katze, Bruce Springsteen und mich, aber das war’s dann auch wirklich. Es ist ein simpler Abwägungsprozess. Ich habe in meinem Leben bisher zwei Frauen aus tiefster Seele geliebt. Bei der Ersten war ich zarte siebzehn, bei der Zweiten um die Dreißig Jahre alt. Somit wäre die romantische Idee, es gibt die Eine, widerlegt. Und wie unwahrscheinlich es ist, das bei über Achtmilliarden Erdenmenschen die dritte große Liebe, sollte sie überhaupt existieren, um die Ecke wohnt oder in die gleiche Kneipe geht, brauche ich wohl kaum vorzurechnen. Kann ich auch gar nicht. Inzwischen bin ich über vierzig, und das verkompliziert die Sache zusätzlich, befürchte ich doch, das jene, mich ausgeschlossen, die in diesem Alter noch oder wieder zu haben sind, Mangelexemplare und Remittenden sind. Getrennt, geschieden, abgeschossen, beschädigt von der Vergangenheit nähert man sich einander nur noch mit spitzen Fingern und dicker Hornhaut auf der Seele, wohl wissend, wie schmerzlich der Verlust sein wird, der unvermeidlich eintritt. Somit bliebe nur, es stets aufs Neue auf einen Versuch ankommen zu lassen, wenn man auf jemanden trifft, der es sein könnte. Eventuell. Vielleicht optisch Dein Ding. Oder weil er oder sie so witzig ist. Oder einfach nur besser als nichts? Hilfe.

Nicht gänzlich außer Acht lassen möchte ich die oft zitierten heilenden Kräfte der Liebe. Was mir dazu spontan in den Sinn kommt: In der großartigen Netflix Produktion Penny Dreadful befreit sich Timothy Dalton in seiner Rolle als Sir Malcom Murray (Achtung, Spoiler) vom Bann der bösen Hexe Evelyn Poole durch die Liebe zu seiner verstorbenen Familie. Sexy Werwolf Josh Hartnett aka Ethan Chandler bringt es in seiner geistlosen Bestiengestalt nicht über sich (Achtung, Spoiler), die liebliche Vanessa Ives, gespielt von der anbetungswürdigen Eva Green, in Hackfleisch zu verwandeln. Harry Potter rettet die Liebe seiner Mutter den Arsch in der ungleichen Schlacht gegen Lord Voldemort. Mehr fällt mir beim besten Willen nicht ein!

Libelle erzählte mir kürzlich, dass sie Paare hasst. Je glücklicher sie aussehen, desto größer der Hass, der in ihr aufkocht. Kommt ihr ein Paar auf der Straße entgegen, möchte sie brüllen. „Er wird Dir das Herz brechen““ oder „Ich hasse Dich, weil Du glücklich bist, Schlampe!“ Ich riet ihr, diesem Drang nachzugeben, wir leben in einer toleranten Gesellschaft. Aber von ganzem Herzen, liebe Libelle, rate ich Dir Folgendes: Erinnere Dich, wie es war, als ihr euch küsstet. Verschlug es Dir den Atem? Blieb die Zeit stehen? Standest Du von den Zehen bis zum Scheitel in Flammen? Erklang eine Musik in Dir, neu und vertraut zugleich? Oder waren seine Lippen nicht vielleicht etwas schmal, sein Mund nicht weit genug geöffnet, sein Zungenspiel verhalten und seine Körpersprache unaufrichtig? Na? Als Nächstes, erinnere Dich an seine Umarmungen. Waren sie durchtränkt von inniger Geborgenheit? Spürtest Du Halt, war es Dir erlaubt, schwach zu sein? War es Dir möglich, Dich fallen zu lassen? Entsinne Dich, ob da das Versprechen im Raum stand, dass die verfluchte Einsamkeit ab heute in alle Ewigkeit vorüber ist? Trost? Verlass? Wolltest Du bis zum Ende aller Zeiten in seinen Armen verharren? War seine Berührung kraftvoll und begehrend? Ließ sein Duft Dich wohlig schauern? Oder waren sie unter Umständen zögerlich und schlaff, sein Körpergeruch von Parfum verschleiert? Konnte er Dir in die Augen sehen, als er sich von Dir losmachte? Wie lang hielt er Dich? Habt ihr euch berührt oder nur angefasst? Na? Hat er sich Dir im Bett zugewandt, um Dich an sich zu drücken, Deine Wärme zu spüren? Ich rede nicht von Sex! Hat er Dich des Nachts gehalten, oder sich nur halten lassen? Na? Wie oft fragte er Dich, wie Dein Tag war? Bekannte er sich in der Öffentlichkeit zu Dir, mit einem Kuss, durch flüchtige, scheinbar zufällige Berührungen? Oh. Wenigstens mit einem Lächeln oder einem tiefen Blick? Okay. Warst Du jemals Du selbst, wenn Du bei ihm warst? Dann erkläre mir, liebe Libelle, warum Du weinst.

In Kürze wirst Du ihn abschütteln, wie ein Hund Wasser aus seinem Fell. Bis dahin, ist die Stille zu laut, sei lauter. Höre die verbotene Musik. Erobere Dir Deine Plätze zurück! Trinke. Entkorke den Wein, den Sekt, was immer Du willst. Allein sein bedeutet, die Einsamkeit aushalten. Aber das sind nur Momente. Schließe die Augen und zähle bis zehn, schon ist es vorbei. Bald ist er nicht mehr Dein erster Gedanke am Morgen. Du wirst frei sein, hat das Warten auf Nachrichten einmal ein Ende gefunden. Doch solltest Du ihm nicht böse sein. Er war einfach nicht der, für den Du ihn gehalten hast. Oder aber, was wir ihm nicht wünschen wollen, er hat einfach nicht mehr zu geben. Komm mit, Libelle, wir gehen und kaufen mir einen neuen Schirm. Ich glaube, diese Romanidee ist für die Tonne.

Alles Liebe

Cat Mosby